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Karl Grein – der Schwarze Karl

Betrachtet man die Geschichte Darmstadts während der Zeit des Nationalsozialismus, so sucht man doch recht mühsam nach aufrechten Persönlichkeiten, die Widerstand leisteten. Umso erstaunlicher, dass gerade im kleinen Arheilgen in der Person des Pfarrers Karl Grein, ein Mitglied der Bekennenden Kirche aktiv tätig war. Die absurden Schikanen der nationalsozialistisch gesteuerten „Amtskirche" der Deutschen Christen gegen Grein fanden ihren Höhepunkt im  sogenannten „Kirchenkampf" von 1935 und das Wort „Vernagelung" erhält für mich eine neue Dimension.

Ich sitze am Schreibtisch und sehe aus dem Fenster: Vor mir das Pfarrhaus der Ev.-luth. Auferstehungsgemeinde, neben mir die Aaron-Reinhard-Straße mit den Stolpersteinen – Geschichte hautnah. Diese direkte Nähe zu den Geschehnissen in Arheilgen berührt mich sehr.

Das Haus der Familie Reinhardt steht gegenüber meinem Haus, aber niemand kam in der Nacht vom 10. zum 11. November 1938 Johanna Reinhard und ihrem Vater zur  Hilfe – nur Karl Grein. Das bewegt.

 

Am Anfang der Recherchen steht natürlich wieder das Lesen von Büchern. Viel berührender allerdings ist die Unterhaltung mit Zeitzeugen, die aus Ihrer Jugendzeit noch einiges über die Geschehnisse um 1935 berichten können.

 

Karl Grein, 1881 in Darmstadt geboren,  war ein tatkräftiger Mann mit einem tiefverwurzelten Glauben an Gott. Nach dem Theologiestudium  in Halle und Gießen und dem folgenden Militärdienst, war er in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel tätig. Seine erste Pfarrstelle hatte er in Friedberg / Hessen, ging dann aber als Militärgeistlicher im Ersten Weltkrieg an die Westfront. Schon damals war es ihm wichtig, auch in den Schützengräben, den Soldaten Mut zuzusprechen: „... das ist auch der letzte Sinn der Besuche vorne, dass man sich dort zeigt, um hinten das, was man verkündigt, leichter abgenommen zu bekommen."

1919 wurde er dann Pfarrer in Arheilgen. In seiner Gemeinde beliebt, hatte er auch ein gutes Verhältnis zu der Arheilger Arbeiterschaft, die weitgehend der SPD angehörte.

„Helfen, Raten, Dienen" – das war sein Motto.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme veränderten sich jedoch die Verhältnisse. Anfangs sympathisierte Grein wie viele andere mit der Bewegung, merkte aber schnell, dass er die Forderungen der Nationalsozialisten mit seinen eigenen Werten nicht vereinbaren konnte. Für ihn war Gott die höchste Instanz und die Allmachtsphantasien eines Adolf Hitler standen diametral dagegen. 

Denn die Kirchen wurden nun auch von den neuen Machthabern vereinnahmt: Die evangelische Kirche sollte den Deutschen Christen eingegliedert, das Alte Testament abgeschafft und zum Christentum konvertierte Juden ausgeschlossen werden.

Das konnte Karl Grein mit seinem Gewissen nicht vereinbaren: Er wurde Gründungsmitglied des Pfarrernotbundes, der 1934 in die Bekennende Kirche überging. Kurz darauf wurde er kurzfristig zwangsbeurlaubt. Auf Grund des Protestes der Arheilger Gemeinde wurde er wieder ein- und dann doch wieder abgesetzt. Es folgte im Jahr 1935 der schon fast absurde Kleinkrieg der Deutschen Christen gegen Karl Grein, begleitet von einem zermürbendem Briefwechsel: Am 15.8.1935 werden die Türen der Arheilger Kirche zugenietet. Die Gemeinde weicht in das Gemeindehaus aus. Am 29.8. werden auch die Türen des Gemeindehauses vernagelt. Darauf richtet Karl Grein Gottesdienste in seinem kleinen Pfarrhaus aus: im Vierschichtbetrieb für rund 380 Personen an Samstagen und Sonntagen. Die Menschen sitzen auf der Treppe und im Flur eng beisammen  – Platz ist in der kleinsten Hütte!

Am 6. Oktober 1935 bricht die über die Sperrungen erzürnte Gemeinde die Türen des Gemeindehauses auf, am 17. November erzwingt sie sich den Zugang zu ihrer Kirche. Die Vernagelung hat ein Ende. Irgendwann geben die Deutschen Christen den Kampf gegen Grein auf. Aus den Nägeln, mit denen das Gemeindehaus versperrt wurde, fertigen Gemeindemitglieder das Arheilger Nagelkreuz, das noch heute in der Arheilger Kirche zu sehen ist und Karl Grein viel bedeutet hat.
Aber die Schwierigkeiten sind nicht zu Ende. Judenhass und -hetze  gehen auch durch Arheilgen. In der Folge der Novemberpogrome von 1938 wird das Haus des Verlegers Aaron Reinhardt von Nazis überfallen, seine verängstigte Tochter  Johanna Reinhardt springt aus dem Fenster. Der Einzige, der Hilfe für die lebensgefährlich Verletzte holt, ist Karl Grein. Ein paar Tage später ist auf die Mauer des Pfarrhauses geschmiert: „Schwarzer Karl, Judenhirte, Volksverräter" Auf die Frage das Stapo-Beamten, ob Grein Anzeige erstellen wolle, antwortet dieser: „Wenn ein Hund mein Haus anpinkelt, stelle ich keinen Antrag auf Beleidigung."  

Im Zweiten Weltkrieg fallen beide Söhne von Karl Grein, ein schwerer Verlust. Kurze Zeit später stirbt seine Frau.
Aber irgendwie geht es weiter. Karl Grein bleibt aktiv und betreibt später mit Martin Niemöller den Aufbau der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. 1952 erhält er das Bundesverdienstkreuz. Karl Grein ist  Vorbild und Ermutigung und ich hoffe, dass er über meinen Kalender auch einen Weg in die Herzen von vielen Nicht-Arheilgern findet..
An dieser Stelle danke ich sehr herzlich Wilhelm Wannemacher für die Einblicke in das Zeitgeschehen sowie meinem lieben Freund Harald Marks für seine Unterstützung bei meinen Recherchen.

Quellen „Karl Grein, 1882 . 1957", Hans-Heinrich Herwig, „Schwarzer Karl", Schriftenreihe des Arheilger Geschichtsverein